Nachhaltige Chemie für Mensch und Umwelt
Nachhaltigkeit ist eine der Kern-Herausforderungen unseres Jahrhunderts. Immer drängender werden die Fragen nach Lösungen für die Zukunft unserer Gesellschaft. All diese Fragestellungen beinhalten stets auch eine chemische Komponente.
Viele unserer Arbeitsgruppen arbeiten schon lange an neuen Materialien, der Biologie von Ökosystemen, Atmosphärenchemie, der Synthese neuer Verbindungen, der Modellierung chemischer Reaktionen, der Chemie unserer Nahrungsmittel, sowie der Auswirkung von Verbindungen auf Zellen und Organismen. Diese Expertise wollen wir nun enger zusammenziehen.
Aus diesem gemeinsamen Entschluss sind drei neue Kooperationsprojekte entstanden.
Untersuchung des Einflusses metall-basierter Verbindungen auf Zellen, Organismen und Umwelt
Metall-basierte Verbindungen können vielfältige Auswirkungen auf lebende Zellen haben. Sie finden in großem Maßstab Anwendung in chemischen Prozessen, kommen aber - als Co-Faktoren - auch häufig in der Natur vor. Medizinisch relevant werden diese Verbindungen, da sie die Kopplungen mit Liganden erlauben und somit zum Transport von Wirkstoffen genutzt werden können. Durch die Möglichkeit sie gezielt in der Zelle zu lokalisieren, liefern sie Einblicke in den Ort der Wirkung.
Insbesondere haben lösliche metall-basierte Verbindungen eine hohe Affinität zu Mitochondrien (und anderen Organellen). Diese Zellorganellen sind nicht nur in den Energiestoffwechsel, sondern in viele weitere lebenswichtige Stoffwechselprozesse involviert. Fehlerhafte Mitochondrienfunktionen sind mit zahlreichen Krankheiten oder Fehlsteuerungen assoziiert, die oft letal sein können. Im großen Zusammenhang können sie somit Auswirkungen auf ganze Ökosysteme haben.
Die zelluläre Interaktion und Regulation von mitochondrialen Prozessen sind bis heute nur unzureichend verstanden. Da Mitochondrien, wie auch Chloroplasten, von Bakterien abstammen und noch viele prokaryotische Merkmale besitzen, sind sie sensitiv für eine Vielzahl antimikrobieller Wirkstoffe. Auch wenn die sekundären Effekte auf die Zelle noch unverstanden sind, verändern diese Verbindungen die dynamische Interaktion zwischen der Zelle und ihren Mitochondrien. Metall-basierte Verbindungen nehmen daher eine ambivalente Rolle ein. Zum einen geraten sie in den Fokus als Umweltkontaminanten mit zum Teil unklarer Aufnahme, Verteilung und Wirkung, zum anderen stellen sie Wirkstoffe dar, die eine gezielte und selektive Adressierung zellulärer Strukturen erlauben.
Im Rahmen des gemeinsamen Projektes wollen die Arbeitsgruppen um Prof´in Bornhorst, Prof´in Lohaus, Prof. Mohr, Prof´in Preisfeld, Prof. Scherkenbeck und Prof. Simon daher ausgewählte Organometallverbindungen (Gold- Silber- und Platin-Komplexe) auf ihr Verhalten in lebenden Zellen unterschiedlicher Organisationsniveaus (Bakterien bis Ökosystem) untersuchen. Aus den Ergebnissen sollen wichtige Rückschlüsse auf das Umweltverhalten der untersuchten Verbindungen gezogen sowie zelluläre und ökosystemare Regulationen untersucht und beschrieben werden.
Entwicklung quantenmechanischer und massenspektrometrischer Methoden für die Atmosphären- und Umweltforschung
Beim Abbau atmosphärischer Schadstoffe treten häufig partiell oxidierte Kohlenwasserstoffe bzw. sogenannte „polyfunctional oxidised organic molecules“ (PFOO) auf, die dann zum Teil kondensieren und zur Bildung sekundärer organischer Aerosole in der Atmosphäre führen. Diese Aerosole sind für das Verständnis der in der Atmosphäre ablaufenden Prozesse von zentraler Bedeutung, haben aber auch direkte Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen und das Klima.
PFOO können verschiedene funktionelle Gruppen wie Hydroxyl-, Carbonyl- oder Hydroperoxylgruppen enthalten. Der hohe Oxygenierungsgrad und die Diversität an Funktionalitäten stellt Forscher*innen weltweit vor eine enorme analytische und mechanistische Herausforderung, um die Bildung von Aerosolen auf markante Vorläufer zurückzuverfolgen. Derzeit erfolgt die Analytik zur Erfassung von PFOO u.a. über Gasphasensampling auf Absorbern, nasschemischer Aufbereitung und anschließender chromatographisch/massenspektrometrischer Detektion. Eine weitere Methode, die sich langsam etabliert, ist die chemische Ionisation basierend auf Halogenid- und Nitrationen, aber hier ist durch die Selektivität der Erfassung die Erkennung aller relevanter Intermediate noch nicht gegeben. Allerdings hat jeder dieser Ansätze noch entscheidende Schwächen, die weitere Verbesserungen der Methodik erfordern.
Auch bei der quantenmechanischen Unterstützung zur Aufklärung möglicher Vorläuferprozessschritte für die Nukleation werden die aktuellen Möglichkeiten aus dem Bereich der Theoretischen Chemie noch nicht einmal annähernd genügend ausgeschöpft.
Ziel dieses Kooperationsprojektes der Arbeitsgruppen um Prof. Benter und Prof. Wiesen ist die genannten hochoxygenierten Kohlenwasserstoffe sowie ihre Bildung und Funktion als Nukleationskeime zu erforschen. Hierzu werden neue Methoden sowohl auf theoretischer Seite in den quantenmechanischen Berechnungen, als auch auf der experimentellen Seite zur gezielten Ankopplung massenspektrometrischer Systeme an die Atmosphärensimulationskammern entwickelt.
Langfristig soll eine robusten Methode zur Entschlüsselung der Zusammensetzung und Struktur (funktionelle Gruppen, Isomere) der Produkte, die in Gasphasenexperimenten in Simulationskammern unter kontrollierten Bedingungen gebildet werden, gefunden und deren Anwendung auf die weiteren Umweltkompartimente Wasser und Boden ausgeweitet werden.
Chemie von und mit Lebensmittelabfällen aus Äpfeln
Nach Angaben der Vereinten Nationen wird ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel nicht gegessen sondern geht im Verarbeitungsprozess verloren oder wird zu Abfall. Nahrungsmittelverlust besteht aus „jedem Essen, das weggeworfen, verbrannt oder auf andere Weise entlang der Lebensmittelversorgungskette entsorgt wird,“ noch vor den Einzelhändlern. Lebensmittelabfälle entstehen vom Händler bis zum Verbraucher. Sie sind das Produkt aus „optimaler“ Auswahl, abgelaufenen Produkten und in Haushalt oder Restaurant ungenutzten oder übrig gebliebenen Esswaren.
Nebenprodukte aus der Lebensmittelindustrie gelten als Nahrungsmittelverluste. Diese sind in der Regel einfacher zu verarbeiten als Lebensmittelabfälle, da sie aus weniger Komponenten bestehen und eine geringere Variabilität haben.
Apfeltrester, d.h. der Rest, der nach dem Pressen zu Saft übrig bleibt, gehört zu dieser Kategorie. Jedes Jahr werden 70 Millionen Tonnen Äpfel weltweit geerntet und 250.000 Tonnen Apfeltrester werden allein in Deutschland erzeugt. Apfeltrester enthält eine Vielzahl an wertvollen Komponenten - von Polysacchariden, Ligninen und Polyphenolen bis zu Flavonoiden und Terpenoiden.
Die Arbeitsgruppen von Prof´in Bohrmann-Linde, Prof. Delaittre, Prof. Kirsch und Prof. Schebb haben sich in diesem Projekt zusammengeschlossen. Sie wollen ihre komplementären Expertisen nutzen, um alles von der Charakterisierung über optimierte Extraktionsprotokolle für spezifischen Verbindungen aus Apfeltrester bis hin zu der Synthese neuer technischer und funktionaler organischer Materialien abzudecken.